Ukraines Präsident Selenski will in die EU geflüchtete, wehrpflichtige Männer per Auslieferung zurückhaben. Die Bundesregierung gibt sich ahnungslos.
Ukrainische Militärdienstpflichtige, die derzeit in der EU leben, sind in heller Aufregung. Präsident Selenski hat angekündigt, Auslieferungsanträge zu stellen, um all diejenigen zu rekrutieren, die geflüchtet sind. Sie alle erhalten derzeit einen befristeten humanitären Aufenthaltsstatus nach der sogenannten Massenzustromrichtlinie der EU.
Ich finde es immer wieder ernüchternd, dass es im öffentlichen Diskurs praktisch keine nennenswerten Beiträge dazu gibt, dass die Pflicht, für sein Land an der Front zu verrecken, verstümmelt oder traumatisiert zu werden, ausschließlich Männer trifft. Das wird einfach als völlig selbstverständlich hingenommen und es wird nur ganz sachlich darüber berichtet. Ich will gar nicht wissen, wie groß der Aufschrei (berechtigterweise) wäre, wenn die Ukraine Auslieferungsanträge für alle in der EU lebenden Frauen stellen würde, um die Population wieder zu vergrößern. Ungefähr diesen Aufschrei würde ich mir auch für die ukrainischen Männer wünschen.
Ich finde es immer wieder ernüchternd, dass es im öffentlichen Diskurs praktisch keine nennenswerten Beiträge dazu gibt, dass es überhaupt eine Pflicht gibt, für sein Land an der Front zu verrecken, verstümmelt oder traumatisiert zu werden.
Wenn es nicht genug Menschen freiwillig machen, braucht es dafür nur mal eine Pflicht. Ich würde auch lieber flüchten als für mein Land zu kämpfen, aber ich verstehe auch, dass es wichtig ist.
Liberaldemokratische Werte schützen leider nicht vor Unterdrückern und Despoten von außen. Idealismus ist in der Verteidigung fehl am Platz und zwar ganz besonders deswegen, weil da wieder spieltheoretische Dynamiken und Kaskaden am Werk sind: Für jeden, der die Flucht ergreift, sinkt die Kampfkraft, was die Flucht attraktiver macht. Eine auch nach außen wehrhafte Demokratie braucht daher eine Wehrpflicht, wenn sich nicht genug freiwillige Rekruten findet.
Jetzt könnte man natürlich sagen, als Individuum kann man immer in die nächste offene Gesellschaft fliehen. Das externalisiert aber die eigene Verantwortung und funktioniert nur eine begrenzte Zeit. Linke, Liberale, Demokraten haben also die Pflicht, die eigene Souveränität zu schützen, auch wenn sie sich dieser Verantwortung entziehen wollen.
In der Tat. Schon geil, wie nahe OP dem eigentlichen Skandal ist, um dann komplett überfordert zu verlangen, dass Frauen doch bitte auch verrecken sollen.
Es trifft hier aber die Leute nicht unabhängig vom Geschlecht.
Genauso wie man bei Diskriminierung, die überwiegend Frauen trifft, nicht jedes Mal mit "but what about the men?!?!?!" kommen muss, kann man auch hier einfach Mal hinnehmen, dass hier überwiegendst Männer betroffen sind, und muss den Aspekt nicht wegrelativieren.
Wobei ich jetzt den Kern des Problems weniger in der Gleichstellung an sich sehe, sondern in der Annahme, dass erstens Männer für ihr Land zu kämpfen hätten und zweitens Frauen als Gebährmaschinen für das Volk zu dienen hätten.
Will sagen: denjenigen, die für Gleichberechtigung kämpfen ist ja nicht unbedingt vorzuwerfen, dass wir Männer zwingen, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Vielmehr ist die Ungleichbehandlung der Frau und die Idee, dass Männer für ihr Land zu kämpfen hätten beides archaisch.
Sogar das neue Selbstbestimmungsgesetz enthält extra eine Frist, dass AMAB-Menschen, welche kurz vor Eintritt eines Verteidigungsfalles den Geschlechtseintrag haben anpassen lassen, im Bezug auf die Wehrpflicht wie Männer behandelt werden.
"Klar respektieren wir dein Recht auf Selbstbestimmung. Außer es geht um Kriegsdienst, dann bist du ein wertloser Mann und sollst gefälligst wie die anderen wertlosen Männer elendig im Schützengraben verrecken, während die echten(tm) Frauen nach Neuseeland oder sonstwohin fliehen dürfen"
Ich finde es immer wieder ernüchternd, dass es im öffentlichen Diskurs praktisch keine nennenswerten Beiträge dazu gibt, dass die Pflicht, für sein Land an der Front zu verrecken, verstümmelt oder traumatisiert zu werden, ausschließlich Männer trifft.
Die Debatte gab es bei uns durchaus, zuletzt in den 2000ern als das Ende der Wehrpflicht zur Diskussion stand.
Dass wir die Wehrpflicht in Deutschland nicht diskutieren liegt also daran, dass wir sie nicht haben und ob es uns zusteht die Wehrpflicht anderer Länder zu diskutieren, gerade derer, die aktuell im Krieg sind während wir uns hier friedlich zurücklehnen und zuschauen können ist halt auch fragwürdig.
Ah ja, plötzlich ist die Gleichbehandlung der Frau wichtig. Bewältige erst einmal die Diskriminierung von und Feindlichkeit ggü. Frauen in der Gesellschaft und gerade dem Militär hier in Deutschland. Diese Scheinempörung ist einfach nur lachhaft.
Dass in der Ukraine Geschlechterrollen immer noch einen großen Teil in ihrer Gesellschaft spielen, ist natürlich ein ernstes Problem. Aber nur weil wir in ein paar Teilen der EU dieses Verhalten ein paar Jährchen halbwegs hinter uns haben, bedeutet das nicht, dass wir ohne Achtung auf die Geschichte, Entwicklung und Hindernisse bei anderen Nationen, denen unsere neuen, oft noch gar nicht realisierten, Maßstände aufzwingen können.
Mit dem Menschenrecht auf Kriegsverweigerung tun wir uns im Westen auch schwer. Aber aktiv an einem Missstand dürfen wir uns dennoch weder beteiligen noch verschärfen.
Laut Entscheidung des EuGH wird Verfolgung nicht anerkannt, wenn ein verfügbares Verfahren der Kriegsdienstverweigerung nicht in Anspruch genommen wurde. In der Ukraine gibt es diese Möglichkeit nicht. Allerdings hatte das Gericht auch geurteilt, dass eine kurz oder mittlere Freiheitsstrafe nicht unbedingt als eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Verfolgungshandlung also abseits des legitimen Rechts auf Unterhaltung der Streitkräfte zu sehen sei.
Ich persönlich kann mir kaum Vorstellen in einem Krieg zu Kämpfen. Würde wahrscheinlich auch Versuchen hier abzuhauen wenn Deutschland massenhaft Männer einziehen würde.
Aber schon klar, wenn alle so wie ich denken ist das wie aufgeben und irgendwann fällt auch das letzte freie Land.
Krieg ist kein verabredeter Schulhofkonflikt, wo wenn du nicht hingehst nichts passiert.
Gerade imperiale Kriege funktionieren nicht so. Gerade deshalb ist Flucht als Option ja so wichtig, weil das Imperium sonst zu dir kommt und dich mitmachen lässt.
Gut, das gleiche Argument könnte man aber auch über Steuerzahlungen machen. Ist also eher die Frage, ob es überhaupt ein bedeutungsvolles Nimm ist und ob es für ein "freies Land" festmachbare Grenzen gibt oder ob hier nur uneinlösbare Utopien verhandelt werden.
Geht mir ähnlich, wobei ich einfach nur nicht sterben will, also würde ich Infrastruktur oder Logistik machen wollen oder so, aber nicht an die Front. Wenn ich keine Garantie habe nicht an die Front zu müssen würde ich auch abhauen.
Und die für die Front werden wohl fehlen in der Ukraine.
Ähnlich hier. Ich bin auch nicht wirklich fähig für den Dienst an der Waffe, von meinen Augen allein. Wenn ich für die Front eingezogen wäre bucht man am besten schon mal den Flug nach Südamerika.
Aber ich wäre bereit einem defensiven Krieg zu helfen wo ich kann. Das heißt, eben wie du sagst Logistik und dergleichen. Wobei das natürlich auch in Frontnähe benötigt wird.
Schade für die Downvotes bei dir.
Ich schließe mich aber an.
Ich finde es schon etwas doppelmoralisch bzw. Weltfremd die Vorzüge eines Landes genießen zu wollen aber diese zu verteidigen rigoros ablehnen.
Natürlich soll nicht jeder losziehen und töten, es gibt ja auch andere Tätigkeiten die eine Verteidigung unterstützen.
Aber ich habe mittlerweile den Eindruck das wir in der Generation "Das steht mir zu... ich habe Rechte" leben und viele die dafür notwendigen Pflichten ignorieren wollen.
Wer soll euch verteidigen wenn das Land massiv angegriffen wird?
Gebt ihr lieber das Land auf in dem ihr mehr Freiheit geniesst und damit auch die Freiheit?
P.S.: ich damals meinen Pflichtdienst als Zivi absolviert und würde im schlimmsten Fall das Land und mein Umfeld verteidigen wollen vor einem Angreifer der unsere Werte mit Füssen treten möchte.
Heruntergewählt wird, weil dort de facto ja eben kein Ersatzdienst als Alternative existiert.
Bei einem Verteidigungsfall ist das eigene Land ja nicht immer ein einfaches Opfer. Dann gibt es auch die diskriminierte Gruppen, die nun plötzlich für den Täter bzw. das System ihr Leben riskieren sollen, mit hoher Wahrscheinlichkeit unter diskriminierenden oder gar unterdrückenden Umständen. An die Front werden außerdem meist nicht diejenigen geschickt, die am meisten von den Vorzügen eines Landes genossen haben, wie du es beschreibst, sondern ganz im Gegenteil diejenigen, die solche Chancen nie erhalten haben. Letztlich kosten Nichtfreiwillige oftmals auch mehr Zeit und Energie als sie dem Militär nützen.
Gründe für eine Totalverweigerung gibt es also schon. Eine Pflicht ist dennoch bisher unumgänglich, gerade wenn man unsere Schwäche zur Propaganda und Korruption in Betracht zieht.
Bei Begriffen wie Grundrecht und Menschenrecht geht für viele verloren, dass es (erstrebenswerte) Privilegien sind, die weder natürlich noch selbstverständlich sind.
War auch mein erster Gedanke. Aber ganzheitlich betrachtet ist das völlig irre. In der politischen Debatten geht es darum, ob Tunesien und Algerien sichere Herkunftsländer sind. Andere machen da Urlaub. Und der Militärdienst mit einer verletzungs- und Todesgefahr deutlich über 10% ist dann plötzlich zumutbar?