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Der Weg ins Unheil für die Sozialdemokratie

archive.is /Sz7T2

SPD-Politiker denken, sie würden Wähler gewinnen, wenn sie auf linke Positionen in der Finanzpolitik verzichten. Diese Strategie beruht auf einer fatalen Fehlannahme.

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Nach dem kurzen Intermezzo des Staatsinterventionismus während der Corona-Pandemie kehrte Scholz als Bundeskanzler im Wesentlichen zurück zu jener Doktrin der milden sozialdemokratischen Selbstverleugnung, die er sich als Finanzminister seinerzeit zurechtgelegt hatte. Zwar bezog er sich –rhetorisch – immer wieder auf die mutige Investitionspolitik des US-Präsidenten Joe Biden. Doch waren das vor allem große Worte, denen kaum Taten folgten. Einen deutschen Inflation Reduction Act gab es nie.

Im Gegenteil. Nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs konnte sich die FDP ohne größere Widerstände mit ihrer Deutung durchsetzen. Nach dieser handelt es sich bei dem russischen Überfall, den vielen Hunderttausend Geflüchteten aus der Ukraine und der indirekten deutschen Kriegsbeteiligung nicht um eine Sondersituation im Sinne der Schuldenbremse. Es sei vielmehr eine Rückkehr zur "Normalität" geboten.

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Das Buch Austerity from the left ist vergangenes Jahr erschienen, seine wesentlichen Erkenntnisse kann man in einem Dokument des Progressive Politics Network nachlesen, einem Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich als forschende Faktenchecker verstehen und Mythen progressiver Politik überprüfen. Die Scholzsche Strategie kommt darin nicht gut weg.

Die Annahme, dass Sozialdemokraten durch eine konservative Finanzpolitik Glaubwürdigkeit in der Mitte gewinnen und so zentristische Wähler überzeugen, schreibt Bremer, sei empirisch nicht haltbar. Anhand von Daten der British Election Study zeigt er: Obwohl die Labour-Partei im Wahlkampf 2015 eine maximal konservative Position in der Finanzpolitik vertreten hatte, konnte sie in der konservativen Klientel kaum dazugewinnen. Je besorgter Wähler um den öffentlichen Schuldenstand waren, desto unwahrscheinlicher war es, dass sie ihre Stimme den Sozialdemokraten gaben – rigide Sparversprechen hin oder her.

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Labour allerdings fürchte offenbar, mit einem solchen Programm nicht gewählt zu werden. Die Partei scheine darauf bedacht, sich möglichst eng an den regierenden Torys zu halten, um den Wahlsieg nicht zu verspielen. "Dieser Weg", schrieb Wolf, "wird scheitern." Stattdessen brauche es eine "radikale Politik", die höhere öffentliche Investitionen in Gang setze, die regionale Ungleichheit reduziere, Wohnraum endlich wieder bezahlbar mache und so das Vertrauen in die Politik wiederherstelle.

Das schreibt wohlgemerkt kein Juso-Vorsitzender, sondern ein führender Kopf des Zentralorgans der liberalen Weltsicht. Und wenn Liberale den Sozialdemokraten erklären müssen, was die Aufgabe linker Politik ist, sieht es für die Sozialdemokratie wirklich düster aus.

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  • Die im Artikel erwähnte Arbeit:

    Executive summary

    In an era of permanent austerity, there has been a widespread belief that progressive forces also need to adopt fiscal orthodox policies to shore up their fiscal credibility. Center left politicians often believe that this is the only way to appeal to centrist voters, whom they deem to be fiscally conservative.

    This research brief argues that this is a myth, which comes in two forms. First, in its weaker form, there is a belief that orthodox fiscal policies help social democratic parties establish their fiscal credibility and increase their electability.Second, a stronger version of the myth suggests that actually implementing orthodox fiscal policies does not backfire electorally for social democratic parties, as austerity policies are popular among voters.

    Based on empirical evidence, this research brief debunks both forms of the myth. On the one hand, it argues that austerity from the left turns fiscal policy into a valence, which does not benefit social democratic parties. It creates contradictions within their economic program with adverse effects: Centrist voters that actually favor fiscal consolidation are pushed to the right, while core voters are disillusioned and thus demobilized.

    Why social democratic parties do not benefit from orthodox fiscal policies (PDF)

  • Das wir wegen der Schuldenbremse bei Klima, Bahn und Bildung sparen ist gelogen.

    Wir sparen beim Klima, bei der Bahn und bei der Bildung, weil wir nicht bei den Subventionen, bei der Auto Infrastruktur oder der Forschung sparen. Das ist etwas überspitzt, aber trotzdem ernst gemeint. Es muss kein Nullsummenspiel zwischen den erwähnten Bereichen sein. Aber vielleicht brauchen wir wirklich nicht 15 Mrd. in der privat/öffentlichen Forschung und sorgen stattdessen lieber dafür das es Kitas und Kitabetreuer gibt?

    Sonst stimme ich dem Artikel zu.

    • Wir könnten uns beides gleichermaßen leisten, wenn wir legale und illegale Steuervermeidung eingrenzen würden und Vermögen nach oben deckeln, wir brauchen nun wirklich keine Milliardäre. Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer sind mächtige Stellschrauben die nur keiner anfassen mag. Passive Einnahmen stärker besteuern als Einnahmen aus Arbeit ... und so weiter.

      Bei Subventionen muss halt viel genauer hingeschaut werden, wo die am Ende hängen bleibt und Riegel vorsgeschoben werden. Die Subventionen für den Agrarbereich bleiben jedenfalls nicht bel kleinen Familienbetrieben und die Subvention für die E-Autos hat nur dafür gesorgt, dass die Automobilbranche keine bezahlbaren Autos anbieten musste (kaum ist die Subvention weg fallen die Preise für die Fahrzeuge).

      Öffentliche Forschung ist so notwendig wie noch nie. Wenn wir das nicht fördern, wird nur geforscht was kurzfristig Geld bringt, das schadet uns in der Zukunft enorm. Ausserdem wenn wir bestimmte Forschung dem Ausland überlassen machen wir uns abhängiger als wir so schon sind, auch keine gute Idee.

      "Kasse leer" und Verteilungskämpfe unten sind eine Strategie um genau von den notwendigen Maßnahmen abzulenken.

      Bei der Bahn wird gespart weil die Automobillobby zu stark ist, bei der Bildung wird nur da gespart wo es um Bildung für die Plebs geht. Man muss sich nur die Privatschulen anschauen da werden Milliarden verbraten. Bildung ist ein Kampf der Eliten um die beste Bildung für ihre Kids zu erhalten um denen einen Bildungsvorsprung zu erhalten, da wird nicht gekleckert sondern geklotzt. In Finnland hat man die Gründung von Privatschulen erheblich erschwert und was ist passiert: Der Bildungssektor wird ordentlich gefördert weil die Kinder der Reichen auch dort zur Schule gehen müssen.

      Beim Klima sparen wir, weil Klimaschuldenbremse nicht im Grundgesetz steht, aber die Schuldenbremse, deshalb kann man ungebremst Klimaschulden machen die dann die nächsten Generationen ausbaden müssen, was viel mehr Geld kosten wird, falls es uns nicht umbringt. Das kann man ändern. Klimaschutz ist der Schutz der Menschheit, wenn der nicht ins Grundgesetz gehört, dann ist der Rest der drinsteht auch wertlos. Klimaschutz ist "keine unvorhergesehene" Katastrophe, so weit klar, aber es ist eine unsägliche Katastrophe mit Ansage der man nur mit Invenstitionen und gezielten Subventionen begegnen kann und muss.

      Man darf sich garnicht auf eine Diskussion einlassen in der Maßnahmen zur Verhinderung der legalen und illegalen Steuervermeidung nicht als erstes genannt werden, sonst ist die Diskussion nichts als Ablenkung und "die Kasse ist leer" Circlejerk. Wir können uns viel mehr Sinnvolles leisten, wir leisten uns aber lieber Steueroasen, Steuerbetrug und Steuerschlupflöcher und Milliardäre und sitzen auf unglaublichen Geldsummen die wir von den Russen beschlagnahmt haben und bohren in der Nase.

    • Alternativ mal die großen Erben und Übergewinne bei Unternehmen abzwacken vielleicht

      wenn mehr Steuerfahnder schauen würden könnte man auch noch locker ein paar Milliarden finden anstatt Peanuts von Bürgergeldempfänger abzuluchsen

      oder wie wärs wenn Herr Lindner die Zinskosten richtig verbuchen würde?

  • Ich stimme dem nicht zu.

    Ich würde mich selber als ziemlich weit links bezeichnen, was gesellschaftspolitische Themen betrifft (Bürgergeld, Löhne, Gesundheitswesen, ...), aber mir ist eine Einhaltung der Schuldenbremse trotzdem sehr wichtig.

    Weil ich denke, dass alles andere kurzsichtig wäre. Wenn man heute Schulden aufnimmt, lohnt es sich nicht. Ich bin mir sicher, dass es kein lohnendes Wirtschaftswachstum aufgrund von Investitionen geben wird.

    Im Gegenteil: Ich bin mir sicher, dass wenn wir heute 1 Mrd. Schulden aufnehmen, dann wahrscheinlich etwa 90% davon in den Taschen der Reichen verschwinden.

    Deshalb bin ich überzeugt davon, dass man streng sein muss, und den Kapitalismus nicht retten darf, indem man weiter Öl ins Feuer gießt. Schlussendlich muss man vom Kapitalismus erwarten, entweder sich selbst erhalten zu können oder zu verschwinden.

    Ich vermute, dass dem Wohle der Bevölkerung mehr geholfen ist, wenn man keine weiteren Schulden aufnimmt.

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