Ich bin letzte Woche über diesen Artikel gestolpert, der mir vor Augen geführt hat, wie gut es mir doch eigentlich geht. Da gerade ja wieder viel diskutiert wird über Sozialstaat, Kinderarmut, etc. finde ich es krass, wieviele Menschen mit ihren Problemen in unserer Gesellschaft unsichtbar sind und überhaupt keine Lobby haben. Warum wird darüber nicht viel mehr berichtet, warum machen das die Parteien links der Union nicht zu ihrem Programm?
"Urlaub" ist gleichbedeutend mit "Wegfliegen"? Vielleicht ist da auch was an der Wahrnehmung verrutscht.
Natürlich sind ein paar der Geschichten tragisch, aber einige der Kommentare sprechen mir aus der Seele. Besser für den Planeten ist es allemal, wenn man in den Ferien einfach öfter mal an den Baggersee radelt statt sich in der Karibik an den Strend zu legen.
Die Geschichten im Text sprechen alle davon, dass sich schon kleinere Luxusausgaben nicht ausgehen. Vom Flug in die Karibik als gleichbedeutend mit "Urlaub" steht da doch kein Wort. (Und die zugrundeliegende EUROSTAT-Statistik fragt ab, ob man sich einmal im Jahr einen Urlaub für eine Woche außerhalb des eigenen Zuhauses leisten kann.)
Abgesehen davon: Es ist wirklich wesentlicher ein Unterschied, ob man freiwillig "öfter mal" an den Baggersee fährt und aus freien Stücken auf die Reise ans Meer oder auch an einen schönen See mit Hotel ein paar Stunden entfernt verzichtet - oder ob man sich egal was man will eh über Jahre und Jahrzehnte hinweg nie was anderes als bestenfalls den Baggersee leisten kann (den es hoffentlich in der Nähe gibt). In diesem "öfter mal" steckt eine Menge ungechecktes Privileg.
Ungleichheit und Armut sind keine "verrutschte Wahrnehmung", sondern eine gesellschaftliche Realität.
Ungleichheit und Armut sind keine "verrutschte Wahrnehmung", sondern eine gesellschaftliche Realität.
Dem stimme ich vollkommen zu. Eine verrutschte Wahrnehmung gibt es dennoch. Das Problem hat die Gesellschaft weniger mit denen, die sich wegfliegen nur selten bis gar nicht leisten können, als mit denen, die dreimal im Jahr sonstwohin düsen. Wir brauchen eine massive Umverteilung. Fliegen sollte trotzdem ein Luxus bleiben, den sich im besten Falle alle sehr selten, als einige wenige ständig leisten können sollten.
Ich bin in meiner gesamten Kindheit nie weggefahren und könnte es mir es nun zwar leisten, aber... ich habe tatsächlich auch nie die Lust entwickelt. Besser für die Umwelt.
Wir sind in meiner Jugend unnötig viel gereist (wenn auch eher mit dem Auto als mit dem Flugzeug), und ich fand das damals schon ziemlich blöd. Irgendwann hatte ich dann dieses sagenumwobene verfügbare Einkommen und bin ein paar Mal wirklich unnötig in den Urlaub geflogen, ohne großes Nachdenken, einfach weil man das halt so gemacht hat.
Heute wünschte ich, ich hätte die Dinge mehr so gesehen wie du. Man muss sich nur mal vor Augen führen, wie idiotisch viele Fernreisen sind. Surfen am Bondi Beach ist nicht viel inspirierender als anderswo, auch wenn es im Zweifelsfall mehr Likes auf Instagram bringt.
Oder um es etwas polemisch mit Jürgen Becker auszudrücken:
Ich habe gelesen, Australien hat für Touristen wieder aufgemacht. Aber was erzählen denn die Leute, die zurückkommen, ihren Freunden? Ich habe Kängurus gesehen, die über die Straße gehüpft sind. Und Kängurus erzählen ihren Freunden, wir haben Idioten aus Köln gesehen, die sind 40.000 Kilometer geflogen um etwas zu sehen, das es in Wuppertal im Zoo gibt.
Ich hab mir gerade erst eine Woche Urlaub geleistet. Mit allem drum und dran: lange ausschlafen, ganzen Tag Zeit für mich, und nachts schön entspannt bisschen mit dem Roller durch die Gegend cruisen. Hat mich weniger gekostet, als 5 Tage arbeiten mit Mittag in der Kantine.
Du hast bestimmt auch keine Kinder denen du erklären musst warum sie nie etwas von der Welt sehen können oder mal ne größere Abwechlsung erfahren dürfen
Ich verstehe nicht, warum nicht alle Parteien diese Wählergruppe/diese Wählerstimmen nicht mitnehmen. Vermutlich weil keine Lobby, oder weil bei anderen Gruppen (Rentner?) mehr Stimmen zu holen sind.
Liegt vielleicht einfach daran, dass keine der Parteien wirklich ein Interesse daran hat Armut zu bekämpfen. Leute lassen sich weniger gut ausbeuten wenn sie keine Angst haben auf der Straße leben zu müssen.
Muss Urlaub sein? Mehr als jeder fünfte Deutsche beantwortet diese Frage aus finanziellen Gründen mit Nein – darunter besonders viele Alleinerziehende. Wir haben mit Menschen gesprochen, die sich keinen Sommerurlaub leisten können. Viele sehnen sich nach einer Auszeit für sich und ihre Kinder – aber nicht alle träumen von einer weiten Reise.
"Für einen Tagesausflug an die Nordsee muss ich genau rechnen"
Tine, 54 Jahre alt, wohnt in Schleswig-Holstein
Ich lebe in einem eher reichen Vorort von Hamburg. Manche der Kinder, mit denen mein Sohn in die Schule geht, fahren dreimal im Jahr in den Urlaub und fliegen mal eben nach Ibiza. Natürlich gönne ich ihnen das, aber es ist auch schwierig, wenn ich sogar bei einem Tagesausflug an die Nordsee ganz genau rechnen muss.
Als alleinerziehende Mutter versuche ich, es mir und meinem 13-jährigen Sohn hier schönzumachen. Wir haben in unserem Kleingarten einen kleinen Pool und ein Trampolin aufgebaut. Bei gutem Wetter verbringen wir viel Zeit dort. Wenn es so regnerisch ist, wie in den letzten Wochen, schränkt uns das natürlich ein. Ab und zu leisten wir es uns dann, ins Kino zu gehen oder zum Essen zu McDonalds. Mein Sohn hat sich gewünscht, in den Freizeitpark gehen, aber der Eintritt für zwei Personen und der Sprit kosten schon fast 100 Euro. Wo soll ich das hernehmen?
Ich habe mehr als 24 Jahre in der Altenpflege gearbeitet, jetzt ist mein Rücken kaputt und ich habe Gicht. Mein Sohn ist pflegebedürftig, deshalb muss ich immer abrufbereit sein, auch wenn er in der Schule ist. Das ist mit einem Job in der Pflege nicht zu vereinbaren. Mittlerweile lebe ich von Bürgergeld. Am Anfang des Jahres überschlage ich, wie wir finanziell hinkommen, wenn mal etwas übrig bleibt, lege ich es für den Geburtstag meines Sohnes oder Weihnachten zur Seite.
Früher bin ich regelmäßig im Sommer weggeflogen. Das letzte Mal im Urlaub war ich vor drei Jahren, da habe ich bei einem Gewinnspiel ein paar Tage in Sankt Peter-Ording gewonnen. Ich habe mich an der See sehr wohlgefühlt und auch mein Sohn ist am Strand ganz viel gelaufen. Die Stimmung war ganz anders als zu Hause. Es wäre toll, wenn wir wieder dorthin fahren könnten, damit ich zwischendurch mal abschalten kann und aus dem Alltagstrott rauskomme.
Ich weiß, dass manche Eltern ihren Kindern sagen, dass sie lieber nicht mit meinem Sohn spielen sollen, weil er nicht zu ihnen passt, weil er arm ist und weil wir im einzigen Sozialbau in unserem Ort leben. Das macht mich traurig und wütend.
Ich habe mich von dem Zwang nach Urlaub befreit.
Suzanne, 63 Jahre alt, wohnt im Ostalbkreis
Meine Freundinnen schenken mir Hotelgutscheine zum Geburtstag.
Andrea, 55 Jahre alt, wohnt in Cloppenburg
"Man kann auch ohne viel Geld schöne Dinge erleben"
Tina, 45 Jahre alt, wohnt in Baden-Württemberg
Meine Tochter hat in diesem Jahr ihr Abitur bestanden. Um das zu feiern, habe ich ihr eine Urlaubsreise nach Ägypten geschenkt. Allerdings ohne mich und ihren elfjährigen Bruder – für uns drei hätte das Geld nicht gereicht. Dafür ist sie mit ihrem Freund geflogen.
Dass wir uns keinen gemeinsamen Urlaub leisten können, ist bei uns normal. Ich bin Krankenschwester und alleinerziehend. Ich komme gerade so über die Runden. Wenn ich mal etwas Geld überhabe, ermögliche ich es meiner Tochter, in den Europapark zu gehen, mit Freundinnen für ein paar Tage auf eine Hütte zu fahren oder ich kaufe meinem Sohn ein neues Paar Fußballschuhe. Wir leben in einer kleinen Wohnung – in einer Gegend, in der jeder Stolz ist auf sein Einfamilienhaus. Meine Kinder wissen, dass wir uns einschränken müssen, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ihnen etwas fehlt. Sie waren auch nie neidisch auf ihre Mitschüler.
Den Sommer verbringen wir hier. Ich habe eine 70-Prozent-Stelle und dadurch auch immer mal wieder unter der Woche frei. Dann suchen wir uns nette Ziele für Tagesausflüge: Mal fahren wir über die Grenze nach Österreich, mal an einen Badesee oder wir gehen auf einen Rummel oder kleine Feste. Man kann auch ohne viel Geld schöne Dinge erleben.
"Urlaub ist für uns der größte Luxus"
Als mein Sohn noch jünger und viel krank war, war die Situation viel schwieriger. Ich musste regelmäßig Nachtschichten machen und war mit meiner Energie am Ende. Manchmal habe ich mich einfach nur weggewünscht. Die Menschen in meiner Nachbarschaft sind dann regelmäßig an Pfingsten für eine Woche nach Italien gefahren, nur ich bin mit meinen Kindern hiergeblieben. Aber es hilft ja auch nichts, sich zu vergleichen und verbittert zu sein.
Ich glaube, dass es falsch ist, wenn Urlaub so einen hohen Stellenwert hat. Was habe ich von zwei, drei Wochen Urlaub im Jahr, wenn der Rest meines Lebens trostlos ist? Man sollte sich auch im Alltag immer wieder schöne Momente einbauen. Das habe ich auch versucht, meinen Kindern mitzugeben.
"Ich habe Schuldgefühle, dass meine Kinder etwas verpassen"
Julia, 33 Jahre alt
Ob wir dieses Jahr in den Urlaub fahren, mussten wir gar nicht überlegen. Ich bin mit meinem Partner und unseren zwei Kindern (vier und ein Jahr alt) vor drei Monaten in eine Großstadt umgezogen. Das hat ein riesiges Loch in unsere Haushaltskasse gerissen. Ich glaube, es wäre aber auch sonst sehr eng geworden. Ich arbeite in Vollzeit und verdiene ungefähr 2.500 Euro netto. Mein Partner ist selbstständig und verdient normalerweise etwa 1.000 Euro. Zurzeit ist es aber weniger. Er hat seit mehreren Monaten starke Rückenschmerzen und kann nicht mehr so viel arbeiten.
Seit ich Kinder habe, bin ich bis auf eine Woche an die Nordsee nicht mehr verreist. Urlaub ist für uns der größte Luxus. Er dient ja keinem Zweck, außer einfach die Seele baumeln zu lassen. Ich wünsche mir sehr, dass dafür irgendwann mal Geld übrig ist. Aber gerade ist die Liste an Dingen, die wir vorher begleichen müssen, einfach zu lang. Gestern haben wir zum Beispiel wieder neue Kinderschuhe kaufen müssen. Das ist dann einfach wichtiger.
Mir ist aufgefallen, dass meine ältere Tochter seit ein paar Wochen viele neue Länder kennt. Sie fragt dann: "Wo ist Frankreich?" oder "Wo ist Südafrika?" Ich vermute, dass sie davon im Kindergarten gehört hat. Jetzt ist sie noch zu klein, um zu schlussfolgern, dass ihr womöglich etwas fehlt. Aber in ein, zwei Jahren könnte sich das ändern.
Natürlich habe ich Schuldgefühle, dass meine Kinder etwas verpassen. Eine Freundin fährt zum Beispiel mit ihren Kindern auf einen Bauernhof nach Schottland. Wenn ich so was höre, werde ich schon neidisch. Ich möchte nicht, dass meine Kinder mit zehn Jahren noch nie woanders waren und denken, Deutschland wäre das Zentrum des Universums. Sie sollen die Welt entdecken. Aber ich weiß nicht, wie das gehen soll. Viel hängt davon ab, ob es meinem Partner bald besser geht und sich unsere finanzielle Lage entspannt – oder ob sich sein Zustand verschlechtert.
Am faszinierend find ich die Kluft wie viel die einzelnen verdienen und es dennoch nicht für Urlaub reicht.
Julia verdient netto 2,5 2 Kinder und einen Partner weniger als 1000 verdient sagen wir 500€ nach Steuern und abzügen. Dann kommt die Miete in einer Großstadt dazu, die bezahlt werden muss.
Tina bekommt Bürgergeld, das ist nach den Infos die ich rauslesen konnte, ohne Unterhalt: 910,00 €.
Meine Vermutung Julia könnte sich Urlaub leisten aber dann wären ggf an anderen Stellen am Luxus zu sparen. Ich hab allerdings auch leicht reden, da ich keine Kinder habe und in etwa so viel verdiene wie Julia.
Es ist kein leichtes Problem und auch ein tiefgreifendes, facettenreiches. Armut wirklich als Armut zu erkennen ist nicht einfach, für viele ist es einfach eine Einkommensgrenze aber das ist absolut unzureichend. Jemand in München hat eine höhere Einkommensgrenze, um nicht als Arm zu gelten, als jemand der irgendwo in nirgendwo lebt.
Die Ursachen von Armut wirklich gezielt anzugehen ist auch nicht einfach. Kernursache ist, denke ich mal, jedem bekannt: Kapitalismus. Aber es geht tiefer und nuancierter als nur das. Während es teil des Late Stage capitalisms ist, ist auch die Soziale Haltung zu bestimmen Gütern, Leistungen und Erfahrungen massgeblich an den Preisen schuld.
Eine Partei würde sich nur ins Bein schiessen diese Probleme wirklich anzugehen, da es ein fundamentales System und Sozial Problem ist.