Uneinheitlich, veraltet, ineffektiv: Seit Jahren kritisieren Experten den Zustand der Notfallversorgung in Deutschland. Die Ampel wollte das Problem angehen, aber zerbrach zuvor. Kommt nun ein neuer Anlauf? Von Birthe Sönnichsen.
Aus Sicht des System consultants mit Versorgungsforschungsbackground:
Viel ist richtig gedacht in der Grundforderung, vieles wird absehbar scheitern, viele ist ein Stohmann.
Der entscheidende Satz kommt ganz zum Schluss des Artikels:
"Dann ließe sich bis zu drei Milliarden Euro pro Jahr sparen"
Den Kassen laufen aktuell die Kosten davon, dabei sind gerade der Rettungsdienst und die Notfallversorgung brutale Kostentreiber im Vergleich zu ihrem Gesamtanteil am Versorgungssystem.
Und leider sind die Probleme sind so tiefgehend,dass wir das nicht ohne kompletten Reboot hin kriegen werden.
Die derzeitige Skillmatrix des Personals geht vollkommen am Bedarf vorbei
Wir leisten uns eine vollkommene Fehlallokation von Ressourcen bei sogut wie jedem Ereignis
Wir erzeugen unfassbar hohe Redundanzen durch mangelnde Kooperation und Integration.
Den Begriff "Economy of Scale" haben außerhalb von Berlin und Bayern auch noch keine Bundesländer gehört.
Das kann ja heiter werden. Ich stelle mir gerade bildlich vor, wie sich meine Leitstelle und irgendein Callcenter-Dulli vom ÄBD versuchen, sich gegenseitig einen Notruf für einen brennenden Mülleimer zuzuschustern. Und bis die dann feststellen, dass das weder ein Einsatz für den Rettungsdienst, noch für den ÄBD ist, brennt das halbe Kaff.
Das ist tatsächlich absolut gar kein Problem wenn wir uns in Deutschland endlich von der Gott verdammten Freihand-Abfrage bzw. den Pseudoalgorithmus Systemen, die in irgendeiner Garage entstanden sind,verabschieden würden.
Freihand-Abfrage durch Fachpersonal ist - und das ist wissenschaftlich validiert - im Ergebnis schlechter als optimierte Algorithmusabfrage durch Abfragesysteme.
Es ist sinnvoller hier auf die Algorithmusanwendung optimierte Kräfte einzusetzen und dann für die wenigen Grenzfälle und als Supervision erfahrene Kliniker (war früher Teil meines Aufgabengebietes in einer englischsprachigen Leitstelle).
MPDS/FPDS funktionieren, sind wissenschaftlich validiert und können (und daran scheitert es immer im deutschsprachigen Raum) nachjustiert werden.
(Daher kommt halt auch der Irrglaube von den "Zunahme der XYZ" Alarmierungen. Die AAO wird immer lokal vergeben . Wenn der Entscheider aber natürlich auf "alles was Herz sagt kriegt nen NA" entscheidet,dann ist das nicht das System)
Ist aber halt teuer in Einkauf, Schulung und Betrieb,dafür hätte man schlagartig international vergleichbare Ergebnisse.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich habe mehr als genug Probleme mit IAEDS (der Organisation hinter MPDS) und eigentlich wäre es besser wenn Europa hier selber mal 50 Million ausgibt und dann einen eigenen, wissenschaftlich validierten Standard Open Source bereit stellt. Das würde man alleine an Lizenzgebühren in DE binnen eines Jahres einsparen.
Aber derzeit sind alle Konkurrenten Käse die tlw. wirklich unter dem Gesichtspunkt "schnell was Zusammenzimmern damit der Leitstellenkunde sagen kann er fragt nach Algorithmen ab" in Garagen von einzelnen Hausärzten geschrieben wurden.
Solange die Algorithmen und Checklisten nur als Werkzeug zur Mangelverwaltung dienen, machen die Alles nur noch schlimmer. Das zugrundeliegende Problem ist doch der Abbau regulärer medizinischer Resourcen, der die Bevölkerung letztendlich dazu zwingt, auf Resourcen zurückzugreifen, die für Noftälle vorgesehen sind. Der ÄBD ist ein schlechter Witz im Vergleich zu einer flächendeckenden Hausarztversorgung mit Not- und Wochenenddiensten, wie das früher üblich war. Eine bessere Vernetzung wird daran auch nichts ändern, das wird eine Mangelverwaltung bleiben.
Das Resultat der ganzen Mangelverwaltung ist leider, dass man sich hinter Checklisten versteckt, um möglichst viele Einsätze abzuwimmeln. Bei mir im Landkreis sind einzelne Disponenten inzwischen so festgefahren auf dieser Schiene, (unterstützt durch scheinbar maximal unflexible Software) dass sie nicht mehr zuverlässig in der Lage sind, auf Situationen, die nicht genau so in der Checkliste stehen, zu reagieren, oder ohne lange Diskussion die Nachforderung eines Rettungsmittels durch einen Einsatzleiter vor Ort abzuarbeiten.