Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch über den Genderstern «Den Menschen ist bewusst: Mit dieser sprachlichen Änderung müssen sie auch ihr Weltbild ändern»
Ich fürchte, die Leute haben in erster Linie ein Problem mit Gendersternchen, weil es sich dabei primär um einen Diskurs unter einem Teil von Akademikern handelt. Es geht dabei nicht um Inhalt, sondern darum, dass man sich in seiner Lebensrealität missverstanden und durch eine Bevölkerungsgruppe gegängelt fühlt, die qua Auftreten in den letzten Jahrzehnten vermittelt hat, einen alleinigen Anspruch auf den Diskurs und die Art, wie er geführt wird, erheben zu können.
D.h. der gesamte Diskurs um inklusive Sprache, der eigentlich wichtig wäre, scheitert daran dass er eben einen großen Teil derer, die daran beteiligt sein sollen, ausschließt.
Wenn mir der Hausmeister sagt, dass es ihm scheissegal ist, welche sexuelle Orientierung jemand hat oder Ls welches Geschlecht er sich identifiziert, sollte ich ihm das erstmal so glauben und dann überlegen, wie ich diesen Mensch dazu bekomme seine prinzipielle Bereitschaft - seine tolerante Grundhaltung - sukzessive davon überzeugen kann, das auch sprachlich zu äußern.
Und genau da liegt mMn das Problem: Wer bist, dass du einem anderen Menschen diktieren willst, wie er zu sprechen hat? Stehst du auch beim Bäcker und korrigierst die, die zur Semmel Schrippe sagen?
Vielleicht will der Hausmeister aus deinem Beispiel halt einfach reden wie er will. Und dann? Ist er dann er schlechterer Mensch? Die Mehrheit handelt halt nicht so wie es eine Minderheit gerne hätte. So ist das Leben.
Der moralisch-schulmeisternde Anspruch der Verfechter des Genderns ist einer der Gründe, warum ich das lasse.
Ich arbeite an ner Uni und stelle Klausuren...Ich wüsste nicht wo man in MINT Fächern überhaupt jemals über eine Person spricht...Aber kann natürlich sein dass es in Geisteswissenschaften so ist. Auch wenn ich nicht wüsste dass es da irgendwo eine generelle Verlautbarung gibt dass das zu Punktabzug führt
Naja weil Mint nunmal ein Großteil der Fächer abdeckt. In BWL/VWL wird auch mehr oder weniger nur gerechnet. Jura ist eh unlesbar. Also was bleibt da noch übrig? Soziale Berufe und Politikwissenschaften. Oh no...
Und ich würde schon erwarten dass wenn das so verbreitet wäre an den Unis dass ich dann schon auch eine Richtlinie bekomme über wie ich Aufgaben zu stellen habe. Sind ja auch manchmal Textaufgaben
Das liest sich für mich wie ad hominem. Er darf ganz unabhängig davon wo er herkommt und was sein Hintergrund ist an einer solchen Diskussion teilnehmen. Er diktiert nichts, sondern versucht darüber aufzuklären, dass man nicht nur mit Taten sondern auch mit Worten Toleranz zeigen kann.
Semmel und Schrippe sind da ein absolut hinkender Vergleich. Mit beiden Begriffen machst du nichts falsch, dich guckt nur jemand komisch an wenn du es an einem Ort sagst, wo es eher ungewöhnlich ist. Beim Gendern geht wohl um etwas Anderes
Ich sehe das tatsächlich nicht so verkrampft wie du .. Ich muss mich nicht darüber aufregen. Ich probiere es gerne aus, weil ich denke, dass man auch sprachlich was ändern darf, solange es einer Verbesserung gilt und damit z.B. mehr Toleranz entsteht. Einen Zwang gibt es nicht.
In dem was du sagst stecken aber eben bereits mehrere Werturteile. Und oft, und so las ich es auch bei dir heraus, wird das nicht als "ich mache es, weil ich es gut finde. Soll jeder machen wie er will,alles ist gleich okay" präsentiert, sondern im Sinne von "diese Sprache ist objektiv besser und wer die Genderformen nicht nutzt, der diskriminiert".
Und du siehst auch im Gendern eine Verbesserung der Sprache - ich eben nicht. Ich lese viel Literatur, auch in anderen Sprachen und vor allem für Nichtmuttersprachler finde ich Gendern furchtbar. Die Sprache verliert dadurch meiner Sicht nach Präzision und büßt Lesbarkeit ein.
Toleranz entsteht meiner Meinung nach durch beidseitigen respektvollen Umgang und gelebte Inklusive. Durch Sprachregeln, mit denen eine Minderheit ihre Sprache umformt, abseits der üblichen Konsistenz und Logik der Sprache - das führt für mich zu mehr Distanz.
Hm, da bin ich mir nicht so sicher - es gibt schon in manchen Situation sowas wie "Gruppendruck" oder meinetwegen auch "Gruppenzwang". Du kannst in bestimmten Berufen das sehr deutlich zu spüren bekommen, selbst wenn du nur "neutral" sein möchtest. Dass es gar keinen Zwang niemals nicht gäbe wird oft behauptet - ich habe es schon anders erlebt. Leider.
Apropos Akademiker Linguisten sind idR von dem Ding nicht sonderlich begeistert weil sie wissen wie Sprache und Sprachentwicklung funktioniert.
Früher als eher nur Männer gearbeitet haben hieß die Frau des Bäckers Bäckerin, im Westen hat sich das dann für weibliche Bäcker eingebürgert, im Osten blieb's beim Bäcker, man kann am Ende durchaus das Argument vertreten dass die Verwendung des "-in" eine Herabwürdigung ist. Im Englischen lief das auch so: Theresa May war prime minister, nicht prime ministress und die Anglos würden dir einen hupen wenn du damit anfängst.
Ich finde die politische Energie könnte man viel besser darauf verwenden männliche Versionen von weiblichen Bezeichnungen abzuschaffen, z.B. Bräutigam zu Braut zu machen. Der Mann ist ja schließlich eine Person dann kann er auch eine Braut sein, Genus und Sexus sind dann halt doch verschiedene Dinge und nur durch dieses krampfhafte benutzen von abgeleiteten Formen werden die Generika überhaupt geschlechtsspezifisch.
Was bleibt ist das rein binäre Genussystem, gerade bei Pronomen problematisch denn da gibt's nichts generisches. Im Prinzip ist das Inklusivium kein schlechter Ansatz, da hätten wir dann am Ende die Braut, der Braut, und de Braut. Das Braut gibt's nicht es sei denn Roboter wollen "es" genannt werden. Klar einen neuen Genus einzuführen ist jetzt keine kleine Änderung aber auf der anderen Seite isses sauber und die Menschen haben schon die richtigen Gehirnwindungen dafür, und wo das System präskriptiv nicht passt kann es sich leicht selbst einschleifen.
Auf der anderen Seite wäre es aber auch hoch überraschend wenn den Feminismus plötzlich anfängt sich einen Scheißdreck für queere Perspektiven zu interessieren. Oder für die von Menschen mit (aus welchem Grund auch immer) niedrigem Sprachverständnis; versuch mal in leichter Sprache zu gendern... das geht vielleicht noch mit viel biegen und brechen, aber dann versuch mal jemandem mit Down-Syndrom den Text lesen zu lassen.