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Transatlantische Zeitenwende: Allein zu Haus

Die USA sind dabei, sich zu verlieren und uns zu verlassen. Was kann Europa jetzt noch tun?

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Diese innerlich zerrissenen USA werden auf absehbare Zeit wenig Kraft ­(Biden) oder gar keine Lust (Trump) haben, sich um die Belange Europas zu kümmern. Sie werden uns weder vor äußeren noch vor inneren Feinden schützen können oder wollen. Im Fall eines Wahlsieges von Trump haben die Europäer im Weißen Haus nicht mehr nur keine Freunde mehr, sondern richtiggehende Gegner. Welche Konsequenzen das hat, zeigte sich dieser Tage, als Viktor Orbán, der gerade den Ratsvorsitz der EU innehat, quasi als Trumps Sonderbeauftragter bei Reisen nach Kiew, Moskau und Peking schon mal den Siegfrieden Putins über die Ukraine vorbereitet hat. Ein neuer Präsident Trump wird sich nicht damit begnügen, die EU zu ignorieren und alleinzulassen, er will sie spalten.

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Der Angriff Russlands auf die Ukraine und damit auf die europäische Friedensordnung war keine Zeitenwende. Am 24. Februar 2022 wurde die seit Langem schon laufende russische Aggression nur so manifest, dass nicht einmal die deutsche Sozialdemokratie sie mehr übersehen und verharmlosen konnte. Entsprechend graduell waren die Konsequenzen: eine überschaubare Erhöhung des Wehr­etats und die vorsichtige Lieferung von Waffen an die Ukraine.

Nein, die eigentliche Zeitenwende, insbesondere für Deutschland, besteht in der Erosion der amerikanischen Demokratie und in ihrem Abschied von der transatlantischen Brüderlichkeit. Das lässt sich weder mit graduellen Maßnahmen noch mit ein paar kargen Sätzen bewältigen. Dazu müsste die Politik möglichst rasch und möglichst breit die Debatte eröffnen.

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Man kann hoffen, dass die transatlantische Zeitenwende sich nicht allzu schnell vollzieht, man kann Vorsorge treffen für den Trump-Fall, man muss auch Kontakte zu einer möglichen neuen Administration knüpfen – nur erspart das den Europäern nicht die Mühe, sich so schnell und so konkret wie möglich neu zu erfinden. Dazu gehört als Erstes, die etwas dekadente Einstellung zur EU zu überwinden, all das Nölige, Quengelige, mitunter Herablassende gegenüber Brüssel. Die Europäische ­Union ist in einer "post-atlantischen" Epoche der einzige Garant für die Selbstbehauptung des Kontinents, und Brüssel ist – so seltsam sich das an­hören mag – vielleicht schon in vier Monaten die Hauptstadt des demokratischen Westens.

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